Bei der Risikobetrachtung wird das Risiko aus einer Kombination des zu erwartenden Schadensausmaßes des Ereignisses und der Häufigkeit abgeleitet.
Bei manchen Ereignissen müssen allerdings zwei oder mehr Zustände eintreten, um ein Ereignis auszulösen. Um die Häufigkeit des gleichzeitigen Auftretens abzuschätzen, muss zusätzlich zur Häufigkeit auch eine Annahme zur jeweiligen Anstehdauer der einzelnen Zustände getroffen werden.
Die Häufigkeit, dass die Zustände gleichzeitig auftreten, ergibt sich dann aus der zeitlichen Überlagerung der anstehenden Zustände. Dabei ist das gleichzeitige Auftreten in der Häufigkeit deutlich niedriger als das Auftreten des einzelnen Zustandes, wodurch sich im Ergebnis ein niedrigeres Risiko und damit geringere Anforderungen an eine Sicherheitseinrichtung ergeben können.
Beispiel: Bersten einer Pumpe
Wird eine Kreiselpumpe zwischen zwei geschlossen Schiebern betrieben, so kommt es mit der Zeit durch den Energieeintrag der Pumpe zur Erwärmung des Fluids. Ist keine Druckentlastungeinrichtung eingebaut, so ergibt sich in der Folge über die Thermalausdehnung des Fluids ein Druckaufbau in der Pumpe. Besteht die Pumpe aus sprödem Werkstoff, z.B. Grauguss, so führt der Druckanstieg schließlich zur Druckentlastung und es kann ggf. zum Bersten des Pumpengehäuses mit Trümmerflug kommen.
Ist zu dieser Zeit des Trümmerflugs ein Mitarbeiter in der Nähe, kann die Person durch den Trümmerflug verletzt werden.

Konservativer Ansatz
In der Praxis wird oft davon ausgegangen, dass immer damit zu rechnen ist, dass sich ein Mitarbeiter in der Nähe der Pumpe befindet und damit potenziell von einem Trümmerflug betroffen sein kann. Mit dieser konservativen Annahme legt man sich auf die sichere Seite.
Differenzierter Ansatz
Man kann aber auch unterstellen, dass Mitarbeiter nicht immer in der Nähe der Pumpe sind und damit das Zusammentreffen von Trümmerflug und Anwesenheit eines Mitarbeiters deutlich reduziert wird. Es muss dabei aber sichergestellt werden, dass sich Mitarbeiter eben nur eine bestimmte Zeit in der Nähe der Pumpe aufhalten können.
Bestimmung der Gleichzeitigkeit
Bei dem differenzierten Ansatz wird die Gleichzeitigkeit von Zuständen bewertet.
Das heißt, man bewertet, wie oft zwei Zustände, die bei gleichzeitigem Auftreten zu einem Ereignis führen, tatsächlich gleichzeitig auftreten.
Voraussetzung für die Abschätzung ist, dass die einzelnen Zustände vollständig unabhängig voneinander und rein zufällig auftreten.
Zustand 1
Nehmen wir einmal an, dass der Zustand 1 (Betreiben der Pumpe zwischen geschlossenen Schiebern) \(n_1 = 10-mal \ im \ Jahr\) vorkommt und der Betriebszustand nach \(t_1 = 1 \ Stunde\) in der Messwarte erkannt und beseitigt wird. Dann steht dieser Zustand insgesamt
\(\displaystyle \sum t_1 = n_1 \cdot t_1 = 10 \ Stunden \ im \ Jahr\)
an. Das entspricht einem Zeitanteil von
\({ZA_1 = 0,114\ \%} \ (= 10\ h/8.760\ h)\)

Zustand 2
In der Nähe der Pumpe (erreichbar durch Trümmerflug) befindet sich \(n_2 = 3-mal \ am \ Tag\) (1.095-mal im Jahr) ein Mitarbeiter für eine Dauer von \(t_2 = 10 \ Minuten\) (rein zufällige Anwesenheit). Das entspricht einer Gesamtzeit von
\(\displaystyle \sum t_2 = n_2 \cdot t_2 = 182,5 \frac{h}{a}\),
bzw. einem Zeitanteil von
\(ZA_2 = 2,083\ \%\).

Gleichzeitigkeit von Zustand 1 und Zustand 2
Der „Zustand 1“ steht mit einer Gesamtzeit von \( \sum t_1 = 10 \ Stunden \ im \ Jahr\) an, im Rest des Jahres nicht. Während dieser 10 Stunden, tritt der „Zustand 2“ mit einem Zeitanteil von \(ZA_2 = 2,083\ \%\) auf, also für eine Gesamtzeit von:
\(\displaystyle \sum t_g = \displaystyle \sum t_1 \cdot ZA_2 = 10 \ h \cdot 2,083 \% = 0,2083 \ h\).
Das heißt, dass beide Zustände gleichzeitig für eine Gesamtzeit von 0,2083 h im Jahr anstehen. Das entspricht einem Zeitanteil von
\(ZA_g = 0,00238\ \%\).
Zusammenfassend lässt sich der Zeitanteil \(ZA_g\) des gleichzeitigen Auftretens auch direkt wie folgt berechnen:
\(ZA_g = ZA_1 \cdot ZA_2\)

Abschätzung der Häufigkeit des gleichzeitigen Auftretens von Zustand 1 und Zustand 2
Neben dem Zeitraum des gleichzeitigen Anstehens beider Zustände interessiert aber vor allem die Anzahl des gemeinsamen Auftretens \(n_g\) , also wie oft beide Zustände gleichzeitig auftreten.
Bei der Abschätzung ist es wichtig, dass beide Zustände vollständig unabhängig voneinander auftreten. Die vollständige Unabhängigkeit ist in der Sicherheitsbetrachtung zu diskutieren und festzustellen. Bei abhängigen Zuständen kann die Anzahl des gleichzeitigen Auftretens deutlich höher liegen. Die Zeitanteile sollten dabei in einer Größenordnung von etwa 10% liegen. Bei höheren Zeitanteilen sollte diskutiert werden, ob nicht besser der konservative Ansatz verfolgt werden sollte, um auf der sicheren Seite zu liegen.
Betrachten wir die Anzahl der gleichzeitigen Zustände, so kann man erst einmal festhalten, dass die Anzahl der gleichzeitigen Zustände nicht größer sein kann als die Anzahl der jeweiligen einzelnen Zustände selbst. Dabei wird die Anzahl des gleichzeitigen Auftretens durch die Anzahl des Zustandes begrenzt, der die größere Anzahl ausweist.
\(n_g \le Max(n_1,n_2)\)
Betrachten wir nun in einem ersten Schritt den „Zustand 1“, mit \(n_1 = 10 \ mal \ pro \ Jahr\) und einem Zeitanteil von \(ZA_1 = 0,114 \%\).
Oben haben wir bereits mit \(ZA_g = 0,00238 \%\) den Zeitanteil bestimmt, bei dem beide Zustände gleichzeitig auftreten.
Das Verhältnis \(P_1 = \frac{ZA_g}{ZA_1}\) gibt nun die Wahrscheinlichkeit an, mit der die „Zustände 1″ gleichzeitig auf einen Zustand 2 treffen (Gleichzeitigkeit, rein zufällig, vollkommen unabhängige Zustände).
\(P_1 = \displaystyle \frac{ZA_g}{ZA_1} = \frac{0,00238 \%}{0,114 \%} = 0,02083 = 2,083 \%\)
\(P_1\) lässt sich dabei auch direkt berechnen:
\(P_1 = \displaystyle \frac{ZA_g}{ZA_1} = \frac{ZA_1 \cdot ZA_2}{ZA_1} = ZA_2\)
Multipliziert man nun \(P_1\) mit der Anzahl der „Zustände 1“, so erhält man die wahrscheinliche Anzahl der gleichzeitigen Zustände, die bei den „Zuständen 1“ auftreten.
\(n_{1g} = \displaystyle P_1 \cdot n_1 =2,083 \% \cdot 10 \frac{1}{a} = 0,2083 \frac{1}{a}\)
In einem zweiten Schritt bestimmen wir für die „Zustände 2“ die wahrscheinliche Anzahl der „Zustände 2“, die mit den „Zuständen 1“ gleichzeitig zusammentreffen.
Das Verhältnis \(P_2 = \frac{ZA_g}{ZA_2}\) gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der die „Zustände 2“ gleichzeitig auf einen „Zustand 1“ treffen (Gleichzeitigkeit, rein zufällig, vollkommen unabhängige Zustände).
\(\displaystyle \frac{ZA_g}{ZA_2} = \frac{0,00238 \%}{2,083\%} = 0,00114=0,114\%\)
Multipliziert man \(P_2\) mit der Anzahl der „Zustände 2“, so erhält man die wahrscheinliche Anzahl der gleichzeitigen Zustände, die bei den \(n_2\) „Zuständen 2“ auftreten.
\(\displaystyle n_{2g}=P_2 \cdot n_2 = 0,114\% \cdot 1.095 \frac{1}{a}=1,25 \frac{1}{a}\)
Über die Summe \(n_g = n_{1g} + n_{2g}\) lässt sich die wahrscheinliche Anzahl des gleichzeitigen Auftretens von „Zustand 1“ und „Zustand 2“ abschätzen:
\(\displaystyle n_g = n_{1g} + n_{2g} = 0,2083 \frac{1}{a} + 1,25 \frac{1}{a} = 1,4583 \frac{1}{a}\)
Excel-Tool
Die Abschätzung der Gleichzeitigkeit kann auch über das anhängenden Excel-Tool erfolgen. Das Excel-Tool ist eine Hilfe bei der Abschätzung der Gleichzeitigkeit. Eine Plausibilitätsprüfung muss wie oben beschrieben auf jeden Fall in der Sicherheitsbetrachtung erfolgen.
